Autor: Dilek Güngör

  • Ausländer sind die anderen

    In der Klasse meiner Tochter ist ein türkisches Kind. Der Junge ist hier geboren, aber die Eltern sind aus der Türkei. Ich stand im Flur neben der Mutter des Kindes, wir kramten gemeinsam die Hausschuhe unserer Kinder aus der Hausschuhkiste, und sie sagte zu ihrem Sohn, er solle nicht mit den Socken über den nassen…

  • Kultur im Konjunktiv

    Eine meiner ältesten Freundinnen ist nach Istanbul gezogen. Wir kennen uns eigentlich noch gar nicht so lange, ich habe Freundinnen, die kenne ich schon viel länger. Sie und ich haben uns erst an der Universität kennengelernt. Aber auch das ist bald zwanzig Jahre her. Erschreckend ist das. Wenn früher in der Schule die Lehrer sagten,…

  • Gierig nach Büchern

    Als ich noch zur Schule ging, verbrachte ich eine Menge Zeit in der Stadtbücherei. Wenn meine Eltern von der Arbeit zurückkamen, vermissten sie mich nicht, wenn sie den Zettel mit der Aufschrift „Bin in der Bücherei“ am Garderobenspiegel fanden. Das Lesen war heilig bei uns zu Hause, sofern man überhaupt von heilig sprechen kann. Meine…

  • Gegen Duft hilft gar nichts

    Im Radio habe ich gehört, dass die Behaglichkeit am Arbeitsplatz auch von der Luftgeschwindigkeit im Raum abhängt. Sie solle nicht über 0,15 Meter pro Sekunde liegen. Schnellere Luft empfinde man als unangenehme Zugluft. Ich habe keine Möglichkeit, die Luftgeschwindigkeit an meinem Arbeitsplatz zu messen. Wenn es zieht, schließe ich die Wohnzimmertür. Das tue ich aber…

  • Mit Unterhosen putzt man nicht

    Als die Putzfrau das Sofa von der Wand zieht, beschließe ich, die Wohnung zu verlassen und irgendwo einen Kaffee zu trinken. Sie bleibt drei Stunden, da bleibt mir nach dem Kaffee sogar noch genügend Zeit, um zu Obi zu fahren und endlich das ausziehbare Wäschegitter umzutauschen. Ich habe gestern Abend unter hämischen Kommentaren meines Mannes…

  • Radfahren ist nichts für mich

    Am Mittwoch vergangener Woche fuhr ich mit dem Rad nach Charlottenburg. Die Sonne schien, der Radweg war breit, ich schoss mit einigem Tempo an der Spree entlang und freute mich, dass ich ohne Mühe im sechsten Gang fahren konnte. Ich war gerade unter einer Brücke durchgefahren, da kam jemand von der Seite, ebenfalls auf dem…

  • Beine machen, was sie wollen

    Im Zeichenkurs haben wir mit geschlossenen Augen gezeichnet. Wer nicht anders konnte, durfte die Augen offen lassen, den Blick aber keinesfalls vom Modell abwenden oder er musste stur zum Fenster hinaussehen. Das soll einem die Angst vor dem weißen Blattnehmen und die Hand lockern. Die Hand zeichnet schon, ohne dass sich der Kopf dazu entschlossen…

  • Deutsche Lappen sind die besten

    Die Drogerie nebenan ist meiner Cousine zum Verhängnis geworden. Den Großteil ihres Geldes, das sie sich für ihre Sommerferien in Berlin mitgebracht hatte, hat sie dort gelassen. Sie hat es für Putzlappen, Staubwedel, Flaschenbürsten, Spültücher, Einweghandschuhe, Teefilter, Scheuerlappen, Einmal- Waschlappen und Fensterleder ausgegeben. „Das gibt es in der Türkei doch auch“, sage ich zu ihr.…

  • Blond ist auch in Ordnung

    Unserem Ken ist die Hüfte gebrochen. Und unserer Tochter das Herz. Jedenfalls tut sie so, und die ganze Familie sucht nach einem neuen Ken. Aber nicht nach irgendeinem. Dunkelhaarig müsste er sein. Ken ist Barbies Freund, unseren haben wir auf dem Flohmarkt gekauft. Ich weiß nicht, woher ich jetzt einen dunkelhaarigen Ken bekommen soll. Meine…

  • Selektive Erinnerung

    Fünf Wochen hat unsere Reise durch die Slowenien, Kroatien und Bosnien gedauert. Ein Freund in Sarajevo hatte uns geraten, unbedingt noch weiterzufahren bis nach Kotor in Montenegro. Als wir aber in Dubrovnik angekommen waren, fand ich, 1 650 Kilometer Heimweg seien lang genug. Ich wollte nicht noch 180 Kilometer dazu. In einem kleinen Notizbuch habe…