Kategorie: Kolumne aus der Berliner Zeitung

  • Glückliche Tage

    Seit langer Zeit wieder eine Hochzeitseinladung ganz nach meinem Geschmack: Keine Kleiderordnung, keine Reden, keine Spiele, kein Gottesdienst, keine Geschenkvorschriften. Ein großes Fest am Abend, Essen und Musik und sonst nichts. Wir waren schon auf Burgen am Rhein, auf Hochzeiten, die sich über drei Tage zogen. Standesamt, Kirche, Fest. Eine Hochzeit fand in zwei Ländern…

  • Tücken der Anpassung

    Auf der Leiter hinauf zur Rutschbahn steht ein Mädchen und ruft seine Mutter. Die Mutter soll helfen, denn das Kind schafft das letzte Stück nicht. Der Abstand zwischen der letzten Sprosse und dem Anfang der Rutschbahn ist zu hoch. „Dann komm wieder runter“, ruft die Mutter. Das Kind schreit: „Hol mich runter.“ Die Mutter sagt…

  • Mein Leben mit Führerschein

    Seit einundzwanzig Jahren habe ich einen Führerschein, seit sechzehn Jahren fahre ich nicht selbst. Das ist das Schöne an Berlin, man kann sehr viel und weit umherkommen – ohne ein Auto. Meine Freunde nahmen ihre ersten Fahrstunden, da waren sie keine 18, aber an ihrem Geburtstag wollten sie ihren Führerschein haben. Mit zwanzig war ich…

  • Geschenkte Zeit

    Bei einem Abendessen habe ich eine Schriftstellerin kennengelernt, die in einem Schloss wohnt. Als Stipendiatin darf sie bis zum Herbst dort bleiben, von ihrem Schreibtisch aus sieht sie in einen Park. Jeden Tag kann sie schreiben, so lange sie will und stundenlang lesen. Genau deshalb hat sie sich dort beworben. Ich fragte, wie viele Stunden…

  • Barmherzige Cousine

    Seit letztem Sommer schreiben meine Cousine und ich uns regelmäßig. Das haben wir zuletzt als Kinder getan, ich auf bunt gemustertem Briefpapier mit passenden Umschlägen. Meine Cousine, die solches Papier nicht hatte, malte mit Kuli Herzen und Blumenranken auf ihr liniertes Papier oder beklebte es mit Tierbildern aus der Zeitung. Meine Briefe begannen immer gleich:…

  • Mein deutscher Pass

    Seit ungefähr zwanzig Jahren habe ich einen deutschen Pass. Dafür musste ich den türkischen aufgeben, das heißt, aus der türkischen Staatsbürgerschaft austreten. Das habe ich gemacht. Es hat mich nicht besonders gekümmert, denn das, wofür ich einen Pass brauchte, konnte ich mit dem türkischen schlecht: reisen. Als meine Klasse nach Südfrankreich fuhr, war ich die…

  • Geschichten, Geschichten

    Wenn ich im Auto lese, wird mir übel. In der S-Bahn schaue ich aus dem Fenster und vergesse den Roman in meiner Hand. Im Bett schlafe ich mit aufgeschlagenem Buch auf dem Bauch ein. In meiner Handtasche kriegen die Taschenbücher Eselsohren. Auf dem Sofa wird mir ohne Wolldecke kalt, mit Decke werde ich schläfrig. Blicke…

  • Heimat – was soll das?

    Wie oft wurde ich nach meiner Heimat gefragt und wie viele Male habe ich schon darauf geantwortet? Manchmal ausweichend, manchmal ganz entschieden, weil ich mich gerade für einen bestimmten Ort als Heimat entschieden hatte. Das konnten auch Orte sein, an denen ich nie gelebt habe, die Türkei zum Beispiel. Dann kam mir der Gedanke, dass…

  • Vom Vorteil des Visums

    Meine Cousine aus der Türkei kam uns letzten Sommer besuchen. Sie war die Erste in der Familie, die sah, wie und wo Onkel und Tante seit 40 Jahren leben. Einfach nach Deutschland fliegen können meine Verwandten nicht. Die meisten haben keine Reisepapiere – wozu. Einen Pass braucht nur, wer verreist. Die meisten verreisen nicht, ein…

  • Weniger Salat ist keine Lösung

    Ich habe Blumensamen gekauft, um Pflänzchen für den Balkon zu ziehen. Ich hatte schon einen Stapel Plastikbecher in der Hand, habe sie aber doch liegen gelassen, weil ich die Samen stattdessen in mit Erde gefüllte Pappbecher stecken werde. Pappbecher bekommt meine Freundin jeden Morgen beim Bäcker, bei dem sie sich ihren schwarzen Tee holt. Die…